Zeit des Widerstehens

Eine Dokumentation
zum Leben in den Jahren 1933 bis 1945
in einer bayerischen Kleinstadt*

Simon Hank
Simon Hank



Statt eines Vorwortes: Einige kritische Anfragen
DIE VERGANGENHEIT
DIE STURMSCHAR
HITLERJUGEND ÜBERFÄLLT DIE PFADFINDER
"FRIEDBERG GEHT GEGEN DIE SCHWARZEN HETZER VOR"
HAUSDURCHSUCHUNGEN UND INSCHUTZHAFTNAHMEN
DIE "SCHUTZHAFT" DES SIMON HANK VOM 1. BIS 4. OKTOBER 1933
NACHWEHEN DER SCHUTZHAFT: Relegation vom Gymnasium
WIE GING ES WEITER?
"DIE HELDEN VON RETTENBERG"
HERETSHAUSEN, DER NEUE ZUFLUCHTSORT
HIMMELFAHRTSTAG 1935
EIN WEITERES GERICHTSVERFAHREN
1936 BIS 1938
"WENN ALLE UNTREU WERDEN"
NACHWEHEN
SCHLUSSWORT

Anhang

Weiterführende Links:


"Wer die Vergangenheit nicht sieht,
ist blind für die Zukunft"

(Bundespräsident Richard von Weizsäcker)

 

^ Statt eines Vorwortes: Einige kritische Anfragen

Wie ist in meiner Heimatstadt Friedberg das Zeitgeschehen des Nationalsozialismus aufgearbeitet worden? Oder hat man gar gerne geschwiegen, um alles zu verschweigen?

Was bewegt einen stillen Beobachter der Nachkriegszeit, in unseren Tagen diesen Fragen nachzuspüren? Ist aber ein Gegner von 'damals', der es wagt, heute noch an jene unselige Zeit zu erinnern, nicht ein ewiger Kritiker, wie vielleicht mancher Opportunist meint, der diese Zeit mitgetragen hat oder der einen Freund von heute nicht irritieren möchte?

Es geht bei diesem Zeitdokument weder um den einen noch um den anderen Zeitgenossen, sondern um eine ehrliche Rückschau um der Zukunft willen, vor allem um die der Jugend, die die Fehler ihrer Väter erkennen soll und nie wiederholen darf. Geben die Jüngsten Erfolge einer neuen rechten Partei nicht Anlaß zur Sorge?

Diese Dokumentation, die unserer Jugend gewidmet sein soll, will auch dem immer wieder gehörten Vorwurf begegnen, was denn wir Zeitzeugen von 'damals' bisher zur Aufarbeitung dieser Vergangenheit geleistet hätten. Schließlich will ich dem vielfach geäußerten Wunsch nach Überlieferung für die Nachwelt - der zeitliche Abstand dürfte dies erlauben - nachkommen, denn auch diese Vergangenheit ist und bleibt - wie man mir sagt

ein Stück Friedberger Geschichte.

1949 war ich von der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt. Das sogenannte Entnazifizierungsverfahren schien bereits abgeschlossen. Einige von 'damals', die wieder ihr Fähnlein geschwenkt hatten, waren nun Genossen der demokratischen Parteien geworden. Ein Spätheimkehrer wie ich hatte jedenfälls den Eindruck gewonnen, daß es in Friedberg, eine 'braune Vergangenheit' gar nicht gegeben haben kann.

Oder war die 'jüngste Vergangenheit' bereits in den 50er Jahren aufgearbeitet, als da doch die Wähler "Ehemalige" mit Mandaten für eine Partei oder für die Verwaltung bedachten? Oder vielleicht dadurch, daß der seit 1933 obwaltende Fähnleinführer der Hitlerjugend schnell wieder eine Friedberger Jugend anvertraut bekam? Oder damit daß die kirchliche Seite für daß Entnazifizierungsverfahren bescheinigte, daß man 'nicht betroffen' sei?

Hat die Friedberger Öffentlichkeit, haben insbesondere die Nachkriegs-Demokraten also ihre Schuldigkeit getan oder gingen alle bewußt an der Aufgabe vorbei, die "braune Vergangenheit" ehrlich aufzuarbeiten?

Über den Friedberger Widerstand hat man auch in der Lokalpresse soviel wie gar nicht berichtet. Lag es an fehlendem Material, oder an kommerziellen Gründen, oder vielleicht nicht doch an einer gewissen Kameraderie? Auch die erst kürzlich erfolgte Dokumentation "Christus - nicht Hitler" fiel arg dürftig aus.

Die Beantwortung dieser Fragen, die sich bei der Rückschau aufdrängen, muß ich jedem Leser dieser Dokumentation selbst überlassen.

 

^ DIE VERGANGENHEIT

Vorweg: In Friedberg gab es wenig fanatische Parteigenossen der NSDAP; die Mitgliedschaft in ihren Gliederungen wurde vielfach unter massivem Druck erzwungen. So waren viele Friedberger zu Kompromissen mit der nun einmal gegebenen politischen Umwelt bereit. Sie waren "Mitläufer" aus beruflichen, geschäftlichen oder sonstigen Gründen. Die Mehrzahl schwieg: "Wir können doch nichts ändern", so sagte man bei uns. Nur wenige zeigten offen ihre Gegnerschaft. Soweit die seinerzeitigen "Aktiven" und "Passiven" anständige Mitmenschen trotz allem ihrem Tun geblieben sind, sind sie tatsächlich "nicht betroffen", und dies war die Mehrzahl. Jene Fanatiker im braunen Kleid die rücksichtslos oder aus angeborenem Ehrgeiz gegen kritische Volksgenossen vorgingen, können in dieser Dokumentation um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen nicht übergangen werden.

Bis zur Machtübernahme der NSDAP im Januar 1933 hat uns katholische Jugend Politik soviel wie gar nicht interessiert, da wir weder wahlberechtigt waren, noch fehlte es uns an der Freiheit, unser Jungsein selbst zu gestalten. Die St. Georgs-Pfadfinder, dem Katholischen Jungmännerverband angehörend, sahen sich seit ihrer Gründung am 27. August 1932 ausschließlich als eine naturverbundene Gemeinschaft im Glauben. 'Unser Führer' war ein unerschrockener Deutscher, ein aufrechter und frommer Priester, nämlich der Stadtprediger und Diözesanpräses der katholischen Jugend des Bistums Augsburg, H. H. Anton Heinle. Er war es, der die Zeichen der 'neuen Zeit' frühzeitig erkannt und uns jungen Menschen die Augen geöffnet, ja, der ohne Unterstützung seines Stadtpfarrers Kopf und Kragen für seine Jugend, insbesondere die Friedberger Jugend, riskiert hatte. Spät, jedoch nicht zu spät, wurde auch nach ihm in Friedberg eine Straße benannt.

Bereits am 18.3.1933 begann in Friedberg der Terror mit der Inschutzhaftnahme der Herren Blümle, Martin Schmid, Hofmeier und Huber, ehemalige Parteiangehörige der SPD. Ihnen folgten andere. Auf diese Weise hofften die Ortsgewaltigen jeden Widerstand der Parteien alter Prägung in seiner Substanz abzuwürgen. In diesem Zusammenhang verdient ein Mann besondere Erwähnung, nämlich Karl Müller, der wegen seiner kommunistischen Überzeugung mehrere Male ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert wurde.

Bis Mitte 1933 gestaltete auch die katholische Jugend von Friedberg ihr Vereinsleben neben der Tätigkeit der Hitlerjugend. Ja, unsere Idee fand bei der Friedberger Jugend solchen Zuspruch, daß wir Anfang 1933 zwei Sippen und zwei Wölflingsgruppen aufbauen konnten. Die Aufführung des vaterländischen Theaterstückes "Der Waffenschmied von Volters" am 23. und 30. April 1933 im Bauernbräusaal bekundete nochmals eindringlich die Vaterlandstreue der katholischen Jugend und deren Freiheitswillen.

Zu diesem Zeitpunkt glaubten wir noch an ein von Vernunft bestimmtes Nebeneinander von Hitlerjugend und katholischen Jugendvereinigungen. Ansatzpunkte waren vorhanden: So gab es eine gemeinsame Feierstunde zum "Führergeburtstag", die Feier zum 1. Mai und die Feier am 14. Mai 1933 zum "Tag der Jugend", wobei letztere mit einem gemeinsamen Umtrunk beim "Bergmair" ausklang. Bei all diesen Veranstaltungen trugen wir die schmucke Pfadfinderkluft. Unsere Ehrenbezeigung war der Pfadfindergruß, auch beim Absingen des "Horst-Wessel-Liedes". Am 24. Mai 1933 bekräftigten wir mit einer eindrucksvollen Versprechensfeier der Jungpfadfinder hinter Wiffertshausen unseren Überlebenswillen als katholische Jugend. Bei dieser Feier "beehrte" uns die Friedberger SA mit ihrer Anwesenheit.

Aber schon an Fronleichnam 1933 wurden die Banner der katholischen Jugend auf Befehl des "Sonderkommissars" Böhm von zwei Friedberger SA-Leuten begleitet. Am 21. März 1933 war das sogenannte "Heimtücke-Gesetz" in Kraft getreten, das nur die Verbände unter staatlichen Schutz stellte, die hinter der Regierung (Partei) standen.

Von jetzt ab verstärkte sich der Druck auf die "Außenstehenden". Jetzt war die Bewegungsfreiheit durch das Versammlungsverbot - mehr als drei waren eine Versammlung eingeschränkt, die jungen Menschen außerhalb der Hitlerjugend nicht "rank und schlank" (Hitlerjargon) genug für die "neue deutsche Jugend". Eine kleine Hoffnung auf eine bessere Zukunft brachte das im Juli 1933 ratifizierte Konkordat zwischen Hitlerdeutschland und dem Vatikan, in dem der Artikel 31 die katholischen Jugendverbände unter Schutz stellte. Dieses Abkommen, so sollte es sich zeigen, war jedoch schneller gebrochen, als die Tinte getrocknet war, mit der es geschrieben.

Die Reihen des Friedberger katholischen Jungmännervereins lichten sich:

 

^ DIE STURMSCHAR,

ein erst Anfang 1933 neu gegründeter Zweig des kath. Jungmännervereins, trat mit ihrem Begründer und Führer noch im gleichen Jahr fast geschlossen zur Hitlerjugend über, wo dieser bald das Kommando übernahm.

"Unsere schlimmsten Verfolger waren zum Teil diejenigen, die uns im Jahre 1933 verlassen haben."
(Josef Pöller in der Pfadfinderchronik "Schwarze Adler")

Tatsächlich begann nun ein verstärktes Kesseltreiben gegen die Pfadfinder - die übrigen katholischen Gruppierungen waren inzwischen sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden.

Entsprang nun dieses Verhalten der Überläufer gegenüber ihren ehemaligen Vereinskameraden einem schlechten Gewissen oder brauchte man auch in Friedberg - bei uns lebten keine jüdischen Mitbürger - ein Feindbild? Oder war der Fahnenwechsel reiner Konformismus (Anpassung an die herrschende Meinung)? Oder war die Triebfeder dazu eine immer wieder zu beobachtende Geltungssucht, nachdem offenbar bei der katholischen Jugend keine Profilierung und nur mehr Unannehmlichkeiten zu erwarten waren? Ein wahrscheinlich doch vorhandenes Unbehagen über das eigene Tun schlug bald in grenzenlosen Haß um. Wie abgrundtief dieser gewesen sein muß, beleuchtet folgendes Zitat:

"Bei diesem Zusammentreffen fragte K. sofort nach Hank. Mairock und Krist erklärten, sie wüßten nicht, wo er sei. Da erklärte K.: 'Wenn der da wäre, dann würde er ihm den Schistecken durch den Bauch rennen, daß man hinten noch ein paar Bockwürste daran hängen kann!" [*]

 

^ HITLERJUGEND ÜBERFÄLLT DIE PFADFINDER AM TREFFLERKREUZ

Vorausgegangen war das in der Anlage in Abschrift beigefügte Schreiben "Warnung wegen Tragen der Pfadfinderuniform" der Hitlerjugend vom 16.9.1933 . Wie aus der Anlage "Uniform- und Abzeichenverbot für konfessionelle Jugendorganisationen im Bezirk Friedberg" ersichtlich, erging dieses Verbot jedoch erst am 25. 5. 1934. Der Überfall war also reine Schikane!

Ein friedlicher Wanderausflug in das Waldheim im Grubet bei Aichach sollte es werden. Unter dem vermeintlichen Schutz des Konkordates, und da es der stahlblaue Himmel so gut mit uns meinte, begann am 16. September 1933 die Fahrt auf Rädern in der auch nach Ansicht der Gendarmerie noch erlaubten Pfadfinderkluft. Doch schon am Trefflerkreuz an der Aichacher Straße in Friedberg wurde unser fröhliches Beginnen jäh unterbrochen: Aus dem seinerzeit noch vorhandenen Hohlweg stürmte eine Horde Hitlerjugend auf uns los, berief sich auf einen Befehl des Sonderkommissars, zog uns die grünen Pfadfinderhemden aus, nahm uns Pfadfinderhut, Dreieckstuch, Knoten und Trillerpfeife ab und verschwand unter wüsten Bedrohungen. Trotz "dieses Erlebnisses" setzten wir - nur in schwarzen Hosen, die man uns gelassen hatte - unseren Wanderausflug fort. Getreu dem achten Gebot des Pfadfindergesetzes "Der Pfadfinder ist stets guter Laune, auch in Schwierigkeiten" haben wir im Waldheim ein paar schöne Tage erlebt.

Das Waldheim, im Eigentum der Diözese Augsburg, wurde bald der Hitlerjugend übereignet - und brannte ab. Wegen der bevorstehenden Wahl unserer Angehörigen haben wir unsere Kluft bald wieder zurückerhalten.

Ein systematischer Feldzug gegen die organisierte katholische Jugend in Deutschland - in Friedberg gegen die Pfadfinder- kennzeichnet nun das Geschehen. Jetzt wurden wir als "Meckerer", "Hetzer" und "Zersetzer", als "Volks- und Staatsfeinde" - und nach Friedberger Eigenprägung - als Stopselklub, als "Toniklub" (benannt nach Präses Anton Heinle) oder als "hinterfotzige Bande" und als "Rosenkranzbrüder" beschimpft bzw. betitelt. Nun waren wir soviel wie "vogelfrei" geworden.

Eine Aktion folgte der anderen:

So und nicht anders erlebten wir "damals" unser junges Dasein, wobei viele Schikanen, die man sich gegen uns ausdachte, gar nicht geschildert sind. Man lebte Tag für Tag in dem bangen Gefühl, was der morgige Tag wohl bringen mag.

Mußte bei diesen "staatsfeindlichen Umtrieben" - so hieß es - des Hank Simerl und seiner Getreuen, die angeblich unentwegt

S i e  m u ß t e !

 

^ "FRIEDBERG GEHT GEGEN DIE SCHWARZEN HETZER VOR"

1. OKTOBER 1933

Der Artikel mit der obigen Überschrift erschien am 3. Oktober 1933 in der "Neuen Nationalzeitung". Er ist im Wortlaut in der Anlage in Abschrift wiedergegeben.

Wer die damalige Zeit miterlebt hat, der weiß, mit welchen Methoden die Nazis versucht haben, Gegner des Regimes einzuschüchtern bzw. mundtot zu machen. So auch hier! Die den "Schwarzen" angelasteten "Taten" waren reine Erfindungen, wie der aufmerksame Leser aus dem Artikel der Neuen Nationalzeitung selbst folgern kann. In diesem Zusammenhang wird auch auf die in der Anlage abschriftlich beigefügte Benachrichtigung vom 11. Oktober 1933 des Ordinariats Augsburg durch Präses Heinle hingewiesen.

Es war nie unsere Absicht, auch nicht von Präses Heinle, dem Naziregime unsererseits mit Gewalt entgegenzutreten; darüber wurde in unseren Reihen nicht einmal diskutiert. Irgendwelche Verbindungen zu anderen Widerstandsgruppen der früheren Parteien oder der Gewerkschaft usw. bestanden zu keiner Zeit.

 

^ HAUSDURCHSUCHUNGEN UND INSCHUTZHAFTNAHMEN

Am Erntedanktag 1933, normalerweise ein Tag, an dem auch die katholische Bevölkerung für eine segensreiche Ernte ihrem Herrgott dankt, wurden die Oberen der katholischen Verbände von Friedberg, nämlich der Vorstand des kath. Arbeitervereins, Simon Rothörl, die Pfadfinderführer Matthias Mairock und Simon Hank, der Angehörige des Kolpingvereins und Führer der Gewerkschaftsjugend, Martin Fischer, sowie ein als "rabenschwarz" bekannter Unternehmer, Dr. phil. Hugo Maria Kellner, in "Schutzhaft" genommen. Damit die Aktion nicht gar so "gefärbt" aussah, durfte ein unbedeutender Friedberger Kommunist, Stefan Glas, den anderen Gesellschaft leisten. Einen gerichtlich angeordneten Schutzhaftbefehl bekam keiner von uns zu Gesicht. War dies nun der oft "versprochene" Weg nach Dachau?

Gleichzeitig erfolgten an diesem Erntedanktag Hausdurchsuchungen beim Stadtprediger Heinle, beim Benefiziaten Dippel und bei den Herren der Kirchenverwaltung, Innozenz Bader, Albert Huber und Matthias Sepp.

 

^ DIE "SCHUTZHAFT" DES SIMON HANK VOM 1. BIS 4. OKTOBER 1933

Früh 5 Uhr, am Erntedanktag, begehrten, an die Haustüre des Anwesens Friedberg, Thal 5, polternd, ein Kriminaler, der Gendarmerie-Hauptwachtmeister J. und vier SA-Männer unter der Führung des SA-Fanatikers Ai. Einlaß, da der "staatsfeindliche" Hank Simerl in Schutzhaft zu nehmen sei. Bei diesem "Staatsakt" mußte man auch bei ihm und seinen Angehörigen eine Hausdurchsuchung vornehmen, denn man könnte vielleicht belastendes Material vorfinden, das man offensichtlich noch nicht hatte. Man fand harmlose Schriftstücke aus der Pfadfinder-Verbandsarbeit neben einer von Hank erarbeiteten Führerschulung, die man auf Nimmerwiedersehen mitnahm. Nach dieser einstündigen "Aktion" wurde der "Staatsfeind" von der SA und dem Gendarm - der Kriminaler mußte noch anderweitig tätig werden - also von 5 gestandenen Mannsbildern - welche Ehre bzw. welcher Aufwand für die Verhaftung eines Siebzehnjährigen - in das vom Volksmund so titulierte "Cafe Klotz" (Untersuchungsgefängnis Friedberg) eingeliefert.

In der Bahnhofstraße begegneten wir dem SA-Musikzug, unterwegs beim Weckruf zum Erntedanktag. Der Hank Simerl zeigte auch hier wieder seine "enorme Staatsfeindlichkeit" indem er das Emblem der "neuen Zeit" die Hakenkreuzfahne (hier SA-Standarte) nicht ehrte. Dieses "ungehörige Verhalten" wurde prompt mit einem Tritt eines SA-Stiefels geahndet. Und wieder einmal drohte man mir: "Dich bringen wir nach Dachau!"; diesmal fehlte das Wörtchen "noch"!

Im "Cafe Klotz" konnte ich neben den gleichzeitig inhaftierten "anderen Staatsfeinden" auch meinen Hilfsfeldmeister, Hiasl Mairock, begrüßen. Den verbleibenden Erntedanktag verbrachten wir Häftlinge bei magerer Gefangenenkost mit der Meditation über das Warum und Wieso. Man soll nicht sagen, daß wir damals in unserem "Cafe" nicht nobel behandelt worden wären: Weil wir "politische", also nicht kriminelle Gefangene waren, durften die Zellentüren nicht verschlossen werden, und wir hatten "freien Ausgang" in den zehn mal fünfundzwanzig Meter großen Gefängnishof, wo auch die "übrigen" Schwer- und Leichtverbrecher ihre Runden drehten.

Am Montag vormittag eröffnete mir der Gendarmerie-Hauptwachtmeister H., daß ich vor dem "Sonderkommissar" Böhm - nun hatten alle Staatsdiener des Bezirksamtes Friedberg einen braunen Übervorgesetzten - zu erscheinen habe. Auf dem Hinweg bedauerte mein begleitender Ordnungshüter, daß er bei dieser Verhaftungswelle mitmachen müsse, aber Befehl sei Befehl und Dienst halt Dienst. War er nicht wirklich zu bedauern?

Der "Sonderkommissar", in Goldfasanen-Parteiuniform auf dem Schreibtisch des Amtszimmers im 1. Stock des Bezirksamtes Friedberg sitzend, empfing mich, mein "Grüß Gott" nicht erwidernd, in höflichem Ton, allerdings ohne Handschlag, nicht einmal mit "Heil-Hitler". Die Tür zum Amtsraum nebenan war geöffnet, wo Unbekannte - oder waren es nicht doch Bekannte? - miteinander tuschelten.

Die Ansprache von Böhm begann in jovialem Ton und gipfelte in dem Versprechen, "wenn du die Hitlerjugend übernimmst, bist du sofort frei". War man mit der derzeitigen HJ-Führung nicht zufrieden? Der Hank Simerl lehnte dieses schmeichelhafte Angebot strikt ab und erlaubte sich, seinerseits auf seine Aufgabe als Pfadfinderführer und die damit verbundene Überzeugung hinzuweisen.

So war der Sonderkommissar anscheinend gezwungen, schärfere Töne anzuschlagen. Zunächst wies er auf die ihm von SA und Hitlerjugend gemeldeten, von den Pfadfindern "verübten Staatsverbrechen" (Beschädigung der Hitler-Eiche, Zertrümmern von Fensterscheiben beim BdM-Heim, Verprügeln von Hitlerjungen und BdM-Mädels, Beleidigungen und Hetze gegen den "Führer" usw.) hin. Böhm leitete dann über in eine Schimpfkanonade gegen die "schwarze Brut" im allgemeinen und gegen den "Jugendverhetzer", den Pfaffen Heinle, im besonderen. Letzterem werde man es schon noch zeigen, woher der Wind im "neuen Deutschland" wehe. Mein Gegenüber wurde dann wieder versöhnlicher mit dem Hinweis auf die auch für Christen "gottgewollte Sendung" des Führers Adolf Hitler gegen den Bolschewismus. Der Hank Simerl zeigte sich von all diesen Worten nicht beeindruckt. Beim Verabschieden ohne Gruß begleitete mich der "fromme Spruch" für meine Zukunft: "Dann landest du eben in Dachau!"

Mein begleitender Gendarm hat mich ohne Zwischenfälle auf wenig begangenen Wegen in das "Cafe Klotz" zurückgebracht.

Der Dienstag (3. Hafttag) verlief ohne besondere Ereignisse außer der Tatsache, daß unser Mithäftling Dr. Kellner entlassen wurde; wie er mir später sagte, geschah dies aufgrund guter Beziehungen seines Bruders zur Augsburger SA.

Unsere "Cafe-Einkehr" hatte sich inzwischen entscheidend verbessert: In der Ecke der Gefangenenzellen der "Politischen" häuften sich von Unbekannten abgegebene Getränke und Eßwaren aller Art, die uns unser braver Aufseher Klotz getreulich überbrachte. Diese Gaben waren so reichlich, daß wir die Mitgefangenen der "anderen Sparte" an dem Segen des Erntedankfestes teilhaben lassen konnten.

Am vierten Hafttag, dem Mittwoch vormittag, überraschte uns "Vater Klotz" mit der Nachricht, daß wir alle nach einem Anruf der Gestapo München sofort zu entlassen seien. Und dies geschah sofort. Erleichtert - ich hatte mich bereits mit einem Abschub nach Dachau abgefunden - verabschiedeten wir Schutzhaft-Häftlinge uns bei einer Halben Bier beim "Bergmair" voneinander.

Was war geschehen? Genaues konnte ich nie in Erfahrung bringen. Im Laufe der Zeit sickerte jedoch die glaubhafte Version durch, daß der "Sonderkommissar" Böhm noch am Dienstag vormittag nach München geeilt war. Zugleich seien bei der Gestapozentrale der seinerzeitige Regierungsrat M. mit ein paar Friedbergern erschienen, und sie hätten mit den Worten "Sie gestatten, Herr Sonderkommissar, daß wir vor Ihnen eintreten, da wir vor Ihnen da waren" das Dienstzimmer der Gestapo betreten. Über den Inhalt der Unterredung wie auch über die Namen der beteiligten Friedberger wurde bis heute nichts bekannt.

Es gab also auch während der Nazizeit noch Männer mit Zivilcourage!

 

^ NACHWEHEN DER SCHUTZHAFT: Relegation vom Gymnasium

Nachdem ich drei Tage am Schulbesuch des Humanistischen Gymnasiums St. Stephan in Augsburg "verhindert" war, konnte der wahre Sachverhalt für dieses mein Fernbleiben auch dort nicht verborgen bleiben; dafür hatte man schon gesorgt. Aufgefallen war der Schüler Hank sowieso schon lange, weil er nie den "Hitlergruß" erwiderte, an den sich, der Not der Zeit gehorchend, selbst die Patres gewöhnt hatten. Der Schülerfall Hank wurde jedoch ernster: Ein Verbleiben an der Schule schien der Schulleitung aufgrund der neueren Vorkommnisse (gemeint war wohl die Schutzhaft) nicht mehr tragbar. Aufgrund der "Vorstrafe" sei ein Abschluß des Studiums mit dem Abitur sowieso nicht mehr möglich. Nachdem der Bitte meiner Mutter für einen Verbleib an der Schule bis zum Abschluß der 6. Klasse (damals mittlere Reife) nach diversen Rückversicherungen der Schule stattgegeben worden war, verließ ich im März 1934 das Humanistische Gymnasium St. Stephan.

Die "Beziehungen" zum ehemaligen Mit-Schutzhäftling Dr. phil. Hugo Maria Kellner ermöglichten mir in seinem Betrieb eine kaufmännische Lehre mit abgeschlossener Kaufmannsgehilfen-Prüfung in München (siehe Recherchen in Quelle 9).

 

^ WIE GING ES WEITER?

Das "Abblitzen" bei der Gestapo München bremste die Aktivitäten der Friedberger Parteigewaltigen, insbesondere die der SA. Der "Sonderkommissar" verließ bald Friedberg, "gemäßigtere" Braune rückten nach.

Die Verhaftung der Pfadfinderführer und die Aktionen gegen die Geistlichen und Kirchenverwaltungs-Mitglieder blieben nicht ohne Wirkung: Gar manches Elternhaus war nun besorgter und eingeschüchtert. Auch mancher von uns wurde mutlos und verließ unsere Gemeinschaft. So sonderte sich die Spreu vorn Weizen!

Die "Wetterlage" zwischen der Hitlerjugend und der katholischen Jugend stand nicht immer auf Sturm. Zu einem solchen "Tauwetter" kann auch eine an den Stammesführer der Pfadfinder gerichtete Vorladung des Fähnleinführers der Hitlerjugend gezählt werden. Bei meinem "Besuch" entwickelte sich ein ruhiges, fast kameradschaftliches Gespräch, gipfelnd in dem Ansinnen, ich solle zur HJ übertreten, denn "wenn du gehst, dann gehen auch die anderen mit", ein bereits einmal praktiziertes Rezept! Meine Antwort war ebenfalls ein "Ansinnen", nämlich die Bitte, ob nicht K. als ehemaliger Vereinskamerad auf seine Hitlerjugend so dämpfend einwirken könnte, daß, wenn auch nicht ein Miteinander, so doch ein vernünftiges Nebeneinander von katholischer Jugend und Hitlerjugend erreicht werden könnte. Die Antwort lautete: "Da stehe ich vor einer Mauer!"

Dreikönigstag 1934: Die Hitlerjugend hat an mehreren Orten von Friedberg, so auch an unserem Schaukasten in der Ludwigstraße, Schmäh-Plakate gegen unseren Generalpräses, Msgr. Ludwig Wolker, angeschlagen. Beim Entfernen dieser Pamphlete kam es zu verschiedenen Zusammenstößen mit der Hitlerjugend.

Trotz aller "Feindseligkeiten" - manche Hitlerjungen haben dazu fanatisch beigetragen, andere empfanden sie irgendwie peinlich - ging unsere Verbandsarbeit weiter. Wenn auch immer wieder einige von uns das Fähnlein wechselten, andere sind zu uns gestoßen. Bereits seit der "Machtübernahme" war zu beobachten, daß Friedberger Familien, die dem "neuen Regime" skeptisch oder ablehnend gegenüberstanden, ihre Kinder zu den katholischen Verbänden schickten. Dieser Trend setzte sich auch in den folgenden Jahren fort.

 

^ "DIE HELDEN VON RETTENBERG"

(1934 verfaßt von Joseph Ströbl, gefallen)

28. April 1934

1. In stiller Nacht, bei Mondenschein,
da zogen wir einmal nach Friedberg ein.
Hint' Polizei, voran SA marschiert,
doch uns das wenig oder nichts geniert.

2. Die Nazi haben uns gefangen
und um den Lohn, da brauchen wir nicht zu bangen.
Doch, wie es kam, ihr sollt es hören,
kein falsch' Geschwätz soll euch betören.

3. Heut' Nachmittag, um ein halb drei,
kam Simon mit dem Zelt herbei.
Spricht: Wir gehen heut nach Rettenberg,
den Böhm verachten wir, den Zwerg.

4. Denn wie gesagt, so auch getan,
bis abends rücken wir heran.
Das Zelt, es ist bald aufgestellt,
ein Lagerfeuer nachts den Platz erhellt.

5. In der Scheune singt man dann:
Sankt Jürg, der frumbe Reitersmann.
Viel and're Lieder noch dazu,
bevor man geht zur Ruh.

6. Doch mitten in dem Frieden
wird das Unglück uns beschieden.
Ein Auto fährt heran mit viel Gebraus
und es steigen braune Männer aus.

7. Und zu uns'rem großen Staunen:
Böhm, Aigner, Knoll, so hört man's raunen.
Ja, Böhm, der über alle ragt,
und Schwarzen, Roten Schreck einjagt.

8. Was tut ihr hier, ihr schwarzen Rangen?
Man sollt' euch an den Galgen hangen!
So spricht der Böhm und tut gar wild,
der Aigner meint: Noch viel zu mild.

9. Der Simon denkt: Von dieser Schar bin ich Kornett
und daß ihr kamt, ihr Herren, ist sehr nett.
Aber, um uns nicht weiter jetzt zu stören,
sollt ihr euch nun zum Kuckuck scheren!

10. Doch laut der Simon meint:
Wir sind zu edlem Zweck vereint,
ein brüderliches Fest zu halten.
Doch was sollen hier die fremden Gestalten?

11. Der Böhm nun spricht: Ich hab's euch doch verboten!
Ihr treibt's noch schlimmer als die Roten!
Eure Feste sind jetzt aus,
zur Polizei folgt mir, zum Dorf hinaus!

12. Wir ziehen nun zur Stadt hinauf,
Nazi stehen auf der Straß', ein großer Hauf'.
'nen schweren Stoß erhielt die Schadenfreud',
Gaffer schrei'n: Sie lachen noch, die frechen Leut'!

13. Der Böhm spricht auf der Station:
Ich hab's mir überlegt und gebe kein Pardon.
Die grünen Hemden zieht ihr aus,
holt braune euch, und geht nach Haus!

14. Die Tornister legt hier nieder,
das Wandern kommt nie wieder!
Und eure Hüte, legt sie ab,
nehmt braune Mützen dafür vom Nagel herab

15. In stiller Nacht, bei Mondenschein,
da zogen wir in uns're Häuser ein.
Es war wohl früh' um ein halb drei,
das End' des Fest's kam schnell herbei."

Die Pfadfinder hatten sich wieder einmal "verbotenerweise" zur Feier ihres Patrons, Sankt Georg, beim Georgskirchlein in Rettenberg zusammengefunden. Sie hatten im Sinn, nach einem Liederabend am Lagerfeuer im Stadel des ihnen befreundeten Mehlbauern im Strohschober zu nächtigen. Die obigen Verse dokumentieren das weitere Geschehen. Sie widerspiegeln aber auch, daß man der katholischen Jugend immer wieder auf den Fersen war und stets versucht hat, ihre Gemeinschaft zu sprengen. Warum sollte dies in einer Kleinstadt wie Friedberg, wo jeder jeden kannte, nicht möglich sein, so dachte man wohl. Um den Anschein der Rechtmäßigkeit zu wahren, mußte bei allen Aktionen gegen die katholische Jugend immer wieder die Polizei bzw. die Gendarmerie herhalten. Auch diese Aktion war reine Willkür, da das Uniformverbot erst am 25. Mai 1934 für den Bezirk Friedberg bekanntgegeben wurde. Der Wahrheit entspricht, daß uns auf der Gendarmeriestation nicht Böhm, sondern der Friedberger Kreisleiter M., empfing, uns väterlich - war er ein "guter" Nazi?" - zur Um- und Einkehr in die Hitlerjugend ermahnte und uns anschließend in unsere Betten entließ. Die Pfadfinder dachten anders: Sie feierten in den Morgenstunden den Namenstag ihres Patrons in Rettenberg.

Im Wonnemonat Mai 1934 fand ein Stammesausflug nach Dasing statt, der ein Strafverfahren vor dem Jugendgericht Friedberg wegen eines "Vergehens" gegen die "Verordnung zum Schutze des Deutschen Volkes und Staates" - das sogenannte Heimtückegesetz - nach sich zog. Die Pfadfinderführer Matthias Mairock und Simon Hank fanden zu diesem Zeitpunkt noch milde Richter und wurden zur Strafe von je 5 Reichsmark verurteilt.

Ein offizielles Versammlungsverbot wird Mitte 1935 erlassen. Trotzdem kam es zu Neuaufnahmen bei der Pfadfinderschaft St. Georg, Friedberg. Unsere Treffen mußten jetzt allerdings bei "gut gesinnten" Friedbergern stattfinden, einmal da, einmal dort, insbesondere bei den Familien Krist und Schuster, vereinzelt auch im Anwesen des Dr. Kellner. Trotz Verbot trafen wir uns in kleineren oder größeren Gruppen bei Spaziergängen und bei Wanderungen.

Unsere Lage wurde immer schwieriger. Wir wurden auf Schritt und Tritt bespitzelt. So suchten wir nach einem Ausweg.

 

^ HERETSHAUSEN, DER NEUE ZUFLUCHTSORT

Mit Hilfe des Dekans des Dekanats Friedberg, Msgr. Kapfhammer, errichteten wir ein provisorisches Heim im ehemaligen Pfarrhof von Heretshausen, damals Bezirksamt Aichach.

 

^ HIMMELFAHRTSTAG 1935

Der Stammesführer berief am Vorabend die Pfadfinder zum Thing nach Heretshausen. Das inzwischen zur Routine gewordene Verfahren (strengste Geheimhaltung, zwei bis drei verlassen Friedberg in verschiedene Himmelsrichtungen, gemeinsamer Treff) klappte auch diesmal. Nach der Einteilung der Wachtposten - Vorsicht war geboten - gestaltete sich der Abend zu einem frohen Beisammensein, wobei wir auch einmal einem Glaserl Wein oder Stamperl Schnaps nicht abhold waren.

Am Himmelfahrtstag selbst feierten wir Pfadfinder mit der Pfarrgemeinde den Festtagsgottesdienst in der Kirche Heretshausen -der Ortsbauernführer war auch da. Der sonnige Nachmittag wurde für eine Wanderung im Riedener Eichholz genutzt. Gegen Abend wurden die Pfadfinder immer kleinlauter, konzentrierten sich nun doch die Gedanken auf die Frage, wie wir ungeschoren nach Friedberg zurückkämen. In letzter Zeit hatte nämlich die Hitlerjugend, sobald sie Wind bekommen hatte, daß keiner von uns in Friedberg den Sonntagsgottesdienst besucht hatte - sie waren also wieder einmal unterwegs, die Ecken und Enden der Stadt in Erwartung der "Heimkehrer" abgeriegelt. So auch heute, wie ein abendlicher Kurier, von Friedberg kommend, bestätigte. Was tun? Einige von uns schafften trotzdem auf verborgenen Pfaden eine glückliche Heimkehr; die Führerschaft verblieb jedoch im Landheim. An diesem Abend war die Stimmung nicht wie am Vortag.

Am grauen Morgen des Freitag fuhren wir mit dem Omnibus, der die Landfrauen mit ihren Produkten zum Augsburger Markt brachte, nach Friedberg, stiegen im Zentrum an der Mariensäule aus - und waren wieder einmal glücklich gelandet. Wie beurteilte wohl die Hitlerjugend unseren erfindungsreichen Pfadfinderstreich, als sie davon erfuhren? Der Ausweichplatz Heretshausen blieb lange geheim. Einer von den Hitlerjungen äußerte nach dem Krieg einmal: "Wo seid ihr denn immer gewesen, daß wir euch nie mehr erwischt haben?"

Es sei nicht verschwiegen, daß wir bei unserem Tun neben einer großen Portion Glück auch Helfershelfer hatten: Wir bezogen Lebensmittel beim Ortsbauernführer in Rieden, einem entfernten Verwandten vom Hank Simerl. Auch meldeten wir uns, wie es das Gesetz befahl, ordnungsgemäß beim Ortsbauernführer in Haunswies an, der uns lange Zeit für einen Abzweig der Hitlerjugend hielt, mit der Zeit aber immer mißtrauischer wurde. Es gab also auch "gute Nazis"!

 

^ EIN WEITERES GERICHTSVERFAHREN

Am ersten Weihnachtsfeiertag 1935 trafen sich wieder einmal die Pfadfinder in Heretshausen. Den Rückkehrern Mairock Hiasl, Krist Michi, Kreitmayr Toni und Treffler Luis begegnete an der Aichacher Straße kurz vor Friedberg die Hitlerjugend. in Schi-Kleidung. Sie stieß Krist Michi vom Fahrrad, forderte das Öffnen des Rucksackes und führte alle ab. In der Schloßstraße schwang sich, einen günstigen Augenblick nutzend, Michi auf sein Rad und ließ den Verfolger K. hinter sich. Die anderen Pfadfinder wurden zur Gendarmeriestation geschleppt, wo der "Tatbestand" - es handelte sich wieder einmal um eine "verbotene Versammlung" - aufgenommen und zur Anzeige gebracht wurde. Das Amtsgericht, Jugendgericht Friedberg, erließ am 25. 1. 1936 gegen die fünf "Rechtsbrecher" - der Hank Simerl war natürlich auch in Heretshausen gewesen - Strafbefehl wegen Verstoßes gegen das Versammlungsverbot. Durch unseren Rechtsanwalt wurde Widerspruch eingelegt.

Auszüge aus dem Schriftsatz des RA Dr. Rossteuscher, Augsburg, an das Amtsgericht Friedberg:

"Diese Strafsache ist wieder einmal ein typisches Beispiel der Verfolgung eines unterstellten Vergehens gegen die Verordnung vom 28. 2. 1933 und die weitere VO vom 30. 7. 1935 (Himmler-Erlaß), gerichtet gegen die Angehörigen einer konfessionellen Jungmännerorganisation, bei der nicht nur alle Tatbestandsmerkmale einer Verurteilung fehlen, dessen Verfolgung aber der interessanten Begleiterscheinung gerade deshalb nicht entbehrt, da die in Betracht kommenden Führer der HJ, K. F. und J. W., früher Sturmscharführer bzw. Jungenschaftsführer der katholischen Jungmännerorganisation bis zum Jahre 1933 waren, also ihre früheren Kameraden der katholischen Jungmännerorganisation genügend kannten, aber offenbar gerade deshalb glaubten, gegen diese in der Weise vorgehen zu können oder zu müssen, wie es hier geschah. Die dabei verübten Gewalttätigkeiten werden Gegenstand eines besonderen Strafverfahrens noch werden..."

"Dabei versäumte K. nicht, den Mairock und seine Freunde als 'hinterfotzige Bande' usw. zu bezeichnen. Krist, der davongefahren sei, sei ein Feigling, wenn man ihn erwische, werde er verschlagen, bis er liegen bleibe und zwar von H. (BdM-Mädel, der Verf.). Der Heinle sei der Hetzer der hinterfotzigen Bande..."

"Krist war inzwischen nach Hause gefahren, da er aber nicht das Geringste zu befürchten hatte, war er dann selbst zur Wache gegangen, vor der Station traf er den K., ging zur Tür hinein, K. hinter ihm her. Als K. die Tür geschlossen hatte, gab er sofort dem Krist mit der Faust einen Schlag ins Gesicht, so kräftig, daß er an einen Türstock flog..."

"Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß es sich hier wieder um einen Fall handelt, bei dem niemand verurteilt werden kann, weil eben jene Tatbestandsmerkmale fehlen, einen jener Fälle, bei denen es sich lediglich um Zweckanzeigen handelt, wobei jedoch alle, welche irgendwie mit der Sache zu tun haben, sich klar darüber sein müssen, daß mit der Verfolgung derartiger Sachen nach keiner Richtung hin etwa genützt wird, aber unendlich viel geschadet werden kann..."

Auch in dieser "schwierigen Zeit" gab es also noch einen Rechtsanwalt mit Zivilcourage!

Da sich die Empfänger des Strafbefehls vom 25. 1. 1936 noch erlaubt hatten, gegen diesen Einspruch durch einen Rechtsanwalt einzulegen, wurde das Strafmaß gegen die Pfadfinderführer Matthias Mairock, Michael Krist und Simon Hank auf je 450 RM erhöht. Meine Entlohnung als kaufmännischer Lehrling im 3. Lehrjahr betrug damals 35 Reichsmark! Die Pfadfinder Anton Kreitmayr und Alois Treffler wurden zu je 15 Reichsmark verurteilt, da diese nicht "einschlägig vorbestraft" waren. Die o.a. Strafen wurden später amnestiert. Bei der "damaligen Unabhängigkeit" der Justiz hat es begreiflicherweise ein Strafverfahren gegen einen HJ-Führer nie gegeben.

 

^ 1936 BIS 1938

Die Chronik "Schwarze Adler" endet mit der Inschutzhaftnahme der Pfadfinderführer. Weitere eigene Aufzeichnungen hätten unsere Untergrundbewegung nur "bestätigt"! Für einige weitere Berichte in der Chronik "Wildkatzen" wurde folgende Chiffre verwendet:

H o s b e d a r i x  (oder n) "hosse" bedeutet also:

1 2 3 4 5 6 7 8 9 0                        12.3.1935

Unser Zelt und ein Teil der Wanderausrüstung ging durch Verrat an die Hitlerjugend über. Das Lilienbanner der Pfadfinder überlebte alle Wirren dieser Zeit, auch wenn es lange Jahre im Kirchturm der Jakobskirche von Friedberg bzw. im Wäscheschrank der Frau Krist, Mutter des Krise Michi, versteckt bleiben mußte. Dieses Banner ist heute bei den Nachkriegs-Pfadfindern in guten Händen.

Am 28. Oktober 1936 ergingen durch die Reichsführung der Hitlerjugend die "Richtlinien zur Bekämpfung der katholischen Jugendverbände". Wie aus der Abschrift ersichtlich ist , hätten für alle jungen Nazigegner, also auch für uns Pfadfinder, "rosige" Zukunftsaussichten bestanden!

Auch im Jahre 1937 stellte die Gestapo München Nachforschungen über die Tätigkeit der St. Georgs-Pfadfinder an. Die Gendarmerie-Hauptstation Friedberg berichtete am 2. 2. 1937 an das Bezirksamt Friedberg. Dieses leitete diesen Bericht am 3. 2. 1937 an die Gestapo München weiter.

Im April 1937 übernahm Josef Pöller, seit 24. 3. 1935 Kornett, wegen der Einberufung des Stammesführers Simon Hank zum Arbeitsdienst, die Führung der Pfadfinderschaft. Zu diesem Zeitpunkt gehörten in Friedberg dieser Gruppierung immerhin noch zwei Sippen mit 20 Pfadfindern und zwei Horden mit 32 Wölflingen an.

Der allgemeine Druck und die Ungewißheit, wie es mit dem Naziregime weitergeht, lasteten auf allen. So verließen nach und nach manche unsere Reihen, traten teilweise zur Hitlerjugend über, andere tarnten sich in untergeordneten Gliederungen der NSDAP. Die endgültige Auflösung der kath. Jugendverbände mit der Bayer. VO vom 31.1.1938 traf nur mehr ein kleines Häuflein Getreuer, die nun gezwungen waren, auch ihre gemeinsamen religiösen Zusammenkünfte einzuschränken, um nicht größeren Gefahren ausgeliefert zu sein. Die wenigen, die noch zusammenhalten konnten, flohen in ihrer Freizeit aus Friedberg und suchten Frieden beim Bergwandern. Einige traten dem Deutschen Alpenverein bei und waren später die Begründer der Sektion Friedberg. Auch in den folgenden Kriegsjahren standen die ehemaligen Pfadfinder in reger Briefverbindung. Heute noch treffen sie sich allmonatlich, begleitet von ihren Frauen.

Dieses in den Jahren 1936 bis 1938 durchgemachte Zeitgeschehen schilderte nach dem Kriege Josef Pöller in der Pfadfinderchronik "Schwarze Adler" wie folgt (auszugsweise Wiedergabe):

 

^ "WENN ALLE UNTREU WERDEN"

"Der Druck wird schwerer. Die Staatsjugend wird proklamiert. Der Druck von seiten der Schule läßt nur wenige von den Jüngeren bleiben. Man droht unseren Leuten, sie bekommen keine Stellen, sie bekommen schlechte Noten, sie haben es nicht leicht..."

"Unsere Singstunden in der Sakristei (auch das Heim im Stadtpredigeranwesen mußte aufgegeben werden, der Verf.) werden ebenfalls gestört, unaufhörlich fliegen Kies und Steine an die Fenster der Kirche. Wir verstauen unser Vereins- und Stammes-Eigentum an allen möglichen Orten der Kirche und im Bezirk Friedberg. Bei H. H. Stadtprediger Heinle ist öfters Hausdurchsuchung. So geht auch dieses Jahr vorüber..."

"Heute müssen wir uns fragen, wo waren die heute in Massen vorhandenen Antifaschisten von Friedberg denn damals, wir haben nichts mehr von ihnen verspürt. Nur eine Handvoll Buben mit ihrem Presse Anton Heinle waren der letzte Widerstand in Friedberg. Alles übrige schwieg. Die Bürger wehrten sich nicht mehr offen gegen die kirchenfeindliche Hetze. Der Nationalsozialismus arbeitete planmäßig und konsequent, und seine Propagandamaschine lief auf vollen Touren..."

"Am 31. Januar 1938 - der schwarze Tag - unser Reichsamt in Düsseldorf wird aufgelöst und vollkommen beschlagnahmt. Damit ist die Stelle lahmgelegt, die unendlich Großes für die deutsche Jugend geleistet hat. Der letzte Stützpunkt ist gefallen -totales Betätigungsverbot. Ist es das Ende - oder lebt der Gedanke, die Treue in der deutschen Jugend noch fort? War doch nicht alles umsonst? Trotz Not und Tod, trotz Krieg und allem, der Gedanke lebt weiter!..."

 

^ NACHWEHEN

Die "berüchtigte staatsfeindliche Tätigkeit" des Hank Simerl sollte noch beim Arbeitsdienst und bei der Wehrmacht ein Nachspiel haben: Kaum zum Arbeitsdienst einberufen, erging Vorladung zum Lagerfeldmeister. "Jemand" hatte berichtet. Es folgten väterliche Ermahnungen dahingehend, endlich den "Schwarzen" nicht mehr nachzulaufen. Weitere Unannehmlichkeiten hatte ich nicht, obwohl ich - wie auch andere - oft meine eigene Meinung beim "politischen Unterricht" nicht für mich behalten konnte.

Mein zweites Wehrpflichtjahr leistete ich bei der Nachrichten-, Lehr- und Versuchsanstalt Halle/Saale ab, deren Kommandeur General Fellgiebel war, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Als "Schreibtischbulle" eingesetzt, empfahl mir eines Tages mein Spieß, mein Wehrstammbuch einzusehen. Das tat ich auch und siehe da, "meine Vergangenheit" hatte mich wieder einmal eingeholt: In der Lasche des Wehrstammbuches lag ein roter Zettel, auf dem bestätigt wurde, daß der Simon Hank ein "Staatsfeind Nr. 1" sei;

Unterschrift: H., 2. Bürgermeister. Dieser "Steckbrief" begleitete mich während meiner Dienstzeit natürlich nicht mehr.

 

^ SCHLUSSWORT

Diese Dokumentation über die Friedberger Vergangenheit während des Regimes der Nationalsozialisten ist notwendig geworden, da in letzter Zeit so manche Falschdarstellung aufgetaucht ist. Der Rückblick kann jedoch nicht umfassend sein; gar manchen und gar manches habe ich gewiß übersehen.

Ich bin mir als Verfasser auch dessen bewußt, daß diese Rückschau über das damalige Zeitgeschehen bei einigen Friedbergern nicht willkommen sein kann. "Betroffene" mögen aber vielleicht darüber nachdenken - wenn sie es bisher noch nicht getan haben -,welche Ängste, Demütigungen und auch Nachteile wir jungen Menschen als die "damals Betroffenen" zu ertragen hatten. Vielleicht können auch sie anerkennen, daß wir nicht Böses mit Bösem vergolten haben. Wir jedenfalls schämen uns auch heute dieser "unserer Vergangenheit" nicht. Wir sind aber auch der Ansicht, daß nachgeborene Friedberger Generationen Lehren aus dieser unheilvollen Zeit ziehen sollten. Im übrigen kann es auch nicht schaden, wenn auch sie wissen, wer dieser "Anton Heinle" war, der einer Straßenbenennung nach ihm würdig war.

Bei diesem Zeitbericht können unsere Angehörigen und alle die anderen, die uns immer gut gesinnt waren und die immer zu uns gestanden haben, nicht vergessen werden; denn auch sie waren als Gegner des Naziregimes selbst auf das Höchste gefährdet und mußten auch wegen "unseres Tuns" viel Leid miterdulden.

Manche "Episode dieser Zeit" ist ausführlich dargestellt, damit der Leser einigermaßen ermessen kann, wie schwer es für Gegner des Naziregimes war, "damals" zu leben, und dies insbesonders für junge Menschen.

Hoffen wir, daß diese Dokumentation, die auch dem Friedberger Stadtarchiv und dem Pfarrarchiv übereignet wird, auch zur Aufarbeitung der Friedberger Vergangenheit jener Tage ehrlich beigetragen hat. Hoffen wir vor allem, daß eine "solche Zeit" nie wieder für unser deutsches Volk hereinbricht, auch nicht für

unsere Heimatstadt Friedberg.


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